Willenlos? Was will der bloß? PUA-Vorurteile, Misogynie und andere Verwirrungen

Julien Blanc. Wem der Name in diesen Tagen nichts sagt, hier ein kurzer Steckbrief: Pickup-Artist, in seinen Kreisen kein unbekannter, „Verführungskünstler“, Coach. Und seit Neustem auch Hass-Objekt der feministisch-aktivistischen Community. Julien tourt schon das ganze Jahr durch die Welt (war u.a. auch in Europa unterwegs; München, Amsterdam, Zürich…) und versammelt in jeder Großstadt, in der er Station macht, hunderte von Anhängern. Die zahlen 3000 Dollar/Euro um dem Mann zu lauschen, der vermeintlich jede Frau „rumkriegt“ und seine Methode jedem Willigen beibringen kann. Für das gewisse Kleingeld.
Nun, dabei bleibt es nicht. Julien lässt des Öfteren Parolen a la „… and you will rape them all“ verlauten. Seine Strategie scheint in der besonders misogynen Interaktion zu liegen – ignorier sie, überfordere sie, hintergeh sie. Ab und an zeigt Julien in seinen Youtube-Videos in eindeutigen Bewegungen wie sich dieses Überrumpeln von fremden Frauen auf der Straße gestaltet.

Julien ist ein End-Zwanziger (würde ich schätzen), eigentlich ganz sympathisch und kann überzeugend sein. Das können viele. Vor allem diejenigen, die irgendeiner Coaching-Tätigkeit nachgehen.

Die Pickup-Szene wird schnell vorverurteilt: Frauenhasser, die jedes weibliche Wesen bis in die Haarspitzen zu erschüttern versuchen. Je schöner sie ist, desto tiefer soll sie fallen.

Kennen wir alles. Kenne ICH alles. Ich habe mich lange genug mit dem Konzept bzw. der Subkultur (und ich finde schon, dass die PUAs so bezeichnet werden dürfen) befasst, um auch sagen zu können: Juliens Mainstream-Botschaften orientieren sich durch und durch an THE GAME von Neil Strauss. Er war es, der als nerdiger Journalist die PUA-Szene eroberte und mit seinem Bestseller ein Zeichen setzte.
Aber nicht für Frauenhass. Nein, für einen Blickwinkelwechsel auf die scheinbar harten und unnahbaren PUAs. All sie waren und sind es manchmal immer noch, verletzliche zarte Blümchen, die von der Einen oder Anderen oder ihnen Allen etwas hart fallen gelassen wurden. Herzen wurden gebrochen, Hoffnungen zerstört. Ventile, die wir für die Verarbeitung finden, können sich unterscheiden, nicht wahr? Das heißt nicht, dass wir anfangen sollten, einander gegenseitig in den Boden zu trampeln. Und: nicht jeder PUA ist von Frauen auseinander genommen worden.

Manche versuchen ihre Liebe zu finden. Ihre – also die eine lebenslange, seelenverwandte Liebe. Ich denke mir das nicht aus – alles Originalvokabular aus den teils psychologisch, evolutionistisch oder soziologisch angereicherten Theorieansätzen der Subkultur-Jungs (meistens Jungs zumindest).

Ich schweife mal wieder ab. Die PUAs bringen mich öfters ins gedankliche Abseits, sorry.

Julien Blanc war also in Australien auf Welttournee und wurde promt von Aktivist_innen von #TakeDownJulienBlanc und der Polizei des Landes verwiesen. So einfach kann‘s manchmal gehen. Da aber schlechte PR besser ist als keine, feiert die PUA-Community ihren Meister nur noch mehr. Das kennt man doch eigentlich von den meisten provokanten Aktionen: Barbie-Dream-House in Berlin, Pussy Riot in der Kirche oder zwiespältigen sexistischen Werbeaktionen a la Tequila als „Dosen-Öffner“ oder „Polylike“ und ihr „Du willst es doch auch“ und und und …

Dabei geht alles ziemlich schnell: soziale Netzwerke machen es uns und ihnen leicht, Gleichgesinnte zu akquirieren.

Ich will auf keinen der Züge aufspringen, obschon ich das Engagement von #TakeDownJulienBlanc bewundere und ehre und achte!

Meine Gründe sind teils untermauert durch meine leichte Pro-Neigung und nicht die totale Ablehnung der PUAs. Clarisse Thorne schrieb das Buch „Confessions of a Pickup-Artist Chaser“, in der SIE, die Feministin, die PUAs „jagt“. Sie trifft viele der Großen und führt sehr offensive und durchaus feministisch zu vereinbarende Gespräche. Sex-positiv ist wahrscheinlich der gemeinsame Nenner, den Clarisse mit den PUAs findet.
Auch THE GAME lese ich gern. Es gibt dort so viel zu entdecken: menschliche Ups und Downs, Liebe, Hass und Intrigen. Geschlechterstudien at their best. Ich bin durchaus in der Lage misogyne Passagen reflektiert zu lesen und sie zu deuten. Den Frauenhass per se habe ich nie allein stehen sehen.

Auch Julien ist – abgesehen von seinen ab und an entgleisenden Aussagen und Schemata – ist aktivistisch unterwegs. Er ermutigt schüchterne, enttäuschte und unwissende Männer, auf Frauen zuzugehen, sie anzusprechen und Selbstbewusstsein zu tanken. JA, es geschieht manchmal auf etwas aggressive Weise und JA, er sieht sich als DEN BESTEN überhaupt (anders würden nicht so viele zu seinen Vorstellungen kommen). Das PUA-Geschäft lebt nun einmal davon, dass „Erfolge“ offen präsentiert werden.

Aber zur „Vergewaltigung“ hat er nicht aufgerufen. Und: Liebe, Ehe, Tradition spielen auch eine Rolle.
Jeder kann jedes mögliche Ziel verfolgen. Kinder und Familie gründen wollen und nicht jede Erstbeste auf der Straße in seine „Höhle“ schleppen. Evolution ist halt DAS TOP-Thema der PUAs.
Mit sprachlich-manipulativen Spielchen, wie dem NLP, versucht es auch Julien auf seine Anhänger Einfluss zu nehmen. Z.B. wiederholt er Phrasen und Wortfolgen in Videos und Vorträgen, unterstreicht Worte mit gezielter Gestik und rundet das perfekt-überzeugende Bild von sich als Meister ab. Ich mag ihn irgendwie. Ich finde ihn spannend, als Mensch, als Untersuchungsobjekt. Ich objektifiziere jetzt einfach mal auch.

Und seien wir ehrlich: Frauen werden auf jedem zweiten Plakat zum Sex-Objekt. Ihre Körper dienen als Projektionsfläche für Schokolade, Bier oder Hustenbonbon. In Küchen und Bädern des Möbelkatalogs sind hübsche Frauen ein Muss – am besten halbnackt und jung.

Glaubt man und frau da tatsächlich, dass die paar PUAs noch mehr am Selbstwert der Heute-Frauen rütteln können? Viele Feminist*innen regen sich im Netz auf. Frauen schreiben verzweifelt, von einem PUA aufs Korn genommen worden zu sein. Nach der ersten Nacht war es vorbei. Die brutalen Aufrissmaschen würden traumatisieren…

Ich mache mich nicht lustig. Ich bin nur ironisch. Natürlich fühle ich auch mit, mit all den herzgebrochenen Verlassenen, Betrogenen und Hintergangenen.

Aber dafür braucht es nicht immer einen Pickup-Artist. Das können auch „Normalos“. Und: ihr könnt das auch. Es ist eine Einbahnstraße, Gefühle zu verletzen und Träume zu zerstören. Denkt einmal zurück: gab es nicht schon mal den Kerl, der euch sehr gern hatte. Für euch war er nur Freund oder schlimmer – nicht einmal das?

Am SCHLIMMSTEN ist für mich das allgemeine VICTIMIZING, das bei all dem vor sich geht.

1. Von Frauen, die sich über die PUAs und deren „Faxen“ beklagen und sich zu einem Opfer stilisieren.

2. Von Kritiker*innen, die die PUA-Maschen verteufeln und meinen, Frauen würden dadurch zu Objekten und persönlichkeitsleeren Gefäßen – sprich: zu passiven Opfern.

Und genau dieses zu Opfern-machen, die Tat- und Ratlosigkeit von Frauen, ihre passive Art werden hier doch nur als Stereotype noch mehr bestätigt!
Wer sagt, dass SIE sich dem PUA hingeben muss? Wer sagt, dass ER sie zu etwas ZWINGT? Ja, etwas arrogant können die Jungs schon mal daherkommen. Und ja, sie können SIE ignorieren, sie mit „Spielchen“ in Schach halten und sozusagen nicht ruhig schlafen zu lassen – genau wie jeder Mann, jede Freundin, jede Schwester oder Mutter. Der ganz normale Sozial-Wahnsinn, der Alltag und das Leben.

Ich plädiere selbst für gegenseitigen Respekt, für Ehrlichkeit und Solidarität – transdisziplinär und –geschlechtlich. Vielleicht würden das nicht alle PUAs unterschreiben, aber durchaus einige.

Und Mädels – wir sind doch nicht passiv?! Wir wissen doch, was wir wollen: ein Abenteuer ist auch mit einem PUA noch eins. Pickup-Artisterie ist eine „Pseudo-kunst“, die nichts gegen Euren Willen tut oder Euch willenlos. Ihr habt immer etwas zu sagen und wenn ihr schon mal was von solchen Männern gehört habt, dann reicht es auch, dass ihr es im Kopf behaltet. Nicht jeder potenzielle „Pickupper“ ist gut und letzten Endes hat jeder auch eine Persönlichkeit, einen Charakter. Selbst der beste PUA-Guru wird nicht immer seinen „Kern“ verbergen können. Wen’s interessiert, kann sich mal mit Mystery’s Geschichte beschäftigen (Spoiler: wie ich schon sagte: zarte Blümchen).

Also:

Aktivismus JA!
Feminist*innen vereint JA!
Pickup-Hass als Antwort auf deren „Frauenhass“ naajaaa… es war noch nie gut, das eine Übel mit einem größeren ausmerzen zu wollen.

Übrigens: Pickup-Artists können auch Feministen (-EN!) sein! Links, sex-positiv und frauen-hochachtungsvoll-liebend. Vielleicht schon mal zu sehr 😉 – Kategorien sind da, um infrage gestellt zu werden!

❤ KF

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