„Kluges Kind“

„Ich habe schon verstanden, dass du klug bist“, sagte er zu mir. Ich könne nun mit den schlauen Worten aufhören und zum „normalen“ Redefluss wechseln. Er hätte mehrmals googlen müssen. Ich hätte Worte erfunden und „verortet“ gäbe es nicht…

Das ist ein kleiner Auszug aus einem Gespräch im Rahmen meiner Recherchen zu Online-Dating und Dating-Apps. Es ist alles wahr, jaja.

Mein Gesprächspartner war ein Endzwanziger, sportbegeistert und „selbstbewusst“ , nach eigener Beschreibung. Wobei das Selbstbewusstsein sich wohl überwiegend über seinen Selfie-Wahn erstreckt. Klischee-Schublade auf – ganz hübsch aber nicht ganz so intelligent, ganz gewiss ohne das gewisse Etwas, dafür umso mehr Sex-Drive – Klischee-Schublade zu.

Darum solls nicht gehen. Ich möchte den armen Kern nicht verurteilen oder gar sein soziales Umfeld schlecht machen. So ist es im anonymen Netz: es treffen eben Menschen aufeinander, die im „wahren“ Leben immer aneinander vorbei gehen würden. Wahrscheinlich sogar mit einem leicht verzogenen Gesicht – beiderseits!

Mir liegt etwas ganz anderes am Herzen. Nämlich diese Sichtweise, die für selbstverständlich gehalten wird. Eine Frau sagt ein paar kluge Sätze, von denen der Mann anscheinend keine Ahnung hat. Er sieht das aber völlig anders. Für ihn war das ein Versuch, ihm zu imponieren. Ein weibliches Peacock-Manöver, das sein Übriges getan hat und abgestellt werden kann. Weil er es will.

Mich erinnert dieses Bild an jenes, wo Erwachsene zu (ihren) Kindern sprechen. „Ja, ja, du bist ein kluges Kind!…Und jetzt geh und spiel mit deinen Freunden!“ *Kopf-tätschel*
Arghhh… Oder?
Schon bei Kindern ist diese Geste nicht besonders wertvoll in Bezug auf das erzieherische Moment.
Bei Männern die Frauen in ebensolcher Form vertrösten graut es mir so richtig.
Das ist natürlich nicht nur meine Sicht, sondern spiegelt den Inhalt zahlreicher Studien und Theorieansätze wider: Frauen wurden oft und gern zum schwachen Geschlecht gezählt und mit Kindern gleichgestellt. Sie wären naiv, verspielt, sensibel und bedurften des starken Mannes, der ihnen beisteht. Der Kindsvergleich umfasste innere wie äußere Attribute; schwache Knochen wie mangelnde Intelligenz. Und wer kennt es nicht, das Kindchenschema…?
An den Kräfteakt des Gebärens, an die 24-stündige Arbeit in und um den Haushalt, die Fürsorge, die Instandhaltung des gesamten Heims wie der Gesundheit aller seiner Mitglieder wurde nicht gedacht. Sie wurde einfach ausgeblendet – wozu die „Daten verzerren“?

Dass heute viele Mädchen bessere Noten schreiben und Frauen auf dem Sprung sind, brauche ich nicht zu beweisen. Es stimmt.

Dass es bei vielen Männern noch nicht angekommen ist, dass eine Frau nicht nur klug sein kann, sondern klüger sein darf, verstimmt mich. Ja, wir haben mit den Geschlechterrollen zu leben und auch mal zu kämpfen. Ja, die meisten Paare stehen auf diesem Grund: ein höherpositionierter Mann und eine Frau mit geringerer Bildung. Bei AkademikerInnen sind beide höchstens auf demselben Level. Selten sind Professorinnen mit Frisören zusammen, oder Managerinnen mit Einzelhandelskaufmännern.
Aber das heißt doch nicht, dass es keine intelligenten Frauen gibt. Nein, das ist die falsche Formulierung. Es heißt nicht, dass Frau ihre intellektuelle Ader vor dem Mann verbergen muss, um attraktiv zu wirken.
NEIN – liebe Frauen – bitte! TUT ES NICHT!
Ihr seid doch KLUG – findet einen besseren WEG, der euch BEIDE WÜRDIGT!

Ich wusste nach den ersten Sätzen, die er schrieb, wie der Rammler … Hase … läuft. Ich gestehe auch gern, dass ich gerne so rede wie ich schreibe und umgekehrt. Einfache Sprache ist ein Segen, doch wozu habe ich den Wortschatz, den ich habe (!! Und mir mühevoll als zweite Muttersprache einverleibt habe!!)? Ich liebe es, Dinge beim Namen zu nennen. Wenn ich „verorten“ meine, dann meine ich es. Synonyme finden? Okay, wie wäre es mit „positionieren“ oder „situieren“?
Ich wage eine Vorhersage: mein Fußballjunge hätte auch dabei Dr. Google konsultiert.

Meinen Spaß an der Sache hat er mir nicht genommen. Eigentlich hat er mich sehr zum Lachen gebracht. Ob er Humor hat? Aber JAAA! 😀
„Man sagt mir nach, ich wär‘ humorvoll und man hätte mit mir viel zu lachen!“
Ich dankte ihm für den Hinweis und verabschiedete mich mit zwei Worten, die er hoffentlich nicht nachzuschlagen brauchte: Mach’s gut!


KF